WIEN taz | Am Ende brach die Story ab. Luke Littler, der „älteste 16-jährige aller Zeiten“ (Stimme aus dem Internet), das neue Wunderkind der Szene, das angeblich mit eineinhalb Jahren schon seine ersten Pfeile warf und jetzt als Ungesetzter bis ins Finale der Darts-WM zog, hatte in diesem Endspiel gegen den 28-jährigen Luke Humphries bereits mit 4:2-Sätzen geführt.
Die Sache schien geritzt, die Geschichte vom Gipfelstürmer im Londoner Alexandra Palace halb geschrieben, da warf Humphries einen „Big Fish“, also eine finalisierende 170, zog in der Folge unnachahmlich an Littler vorbei – und ließ sich auch nicht mehr einfangen. 7:4 hieß es am Ende für den neuen Weltmeister und die neue Nummer 1 der Szene, den aus Newbury stammenden Humphries. Ein unter dem Strich verdienter Sieg.
Humphries war bis zu Littlers Durchrausch durch das Turnier die eigentliche Story gewesen: Er war im Jahresranking 2023 allen anderen Topspielern extrem weit enteilt. Vor der WM gewann er nacheinander den World Grand Prix, den Grand Slam of Darts sowie die Players Championship Finals – drei sogenannte Majorturniere; er galt somit mindestens als Mitfavorit.
Und dann schwächelte es im Laufe des WM-Turniers schwer: Die Ex-Champs Peter Wright, Gerwyn Price und Michael Smith, der Titelverteidiger, mussten recht früh raus; die bisherige Nummer 1 der Welt, der Niederländer Michael van Gerwen, scheiterte im Viertelfinale mutmaßlich an einem Burger (mehr dazu später), der ihm auf den Magen schlug.
Luke Humphries, Kampfname „Cool Hand Luke“, brauchte allerdings lange, um ins Turnier zu finden und wäre in äußerst knappen Spielen gegen den Deutschen Ricardo Pietreczko sowie Joe Cullen (England) sogar beinahe ausgeschieden. Erst im Halbfinale gegen Scott Williams (6:0) spielte er wirklich auf der Höhe seines Könnens.
Späte Wende
Im Finale ging es lange hin und her, bis Littler davonzuziehen schien. Bis zu dem Zeitpunkt, als Humphries der Big Fish gelang, sah es lange danach aus, als ob er an den finalen Doppeln, den entscheidenden Feldern zum Ausmachen eines Spiels (Legs), scheitern würde, ähnlich wie Ex-Weltmeister Rob Cross im Halbfinale gegen Littler. Der spielte einwandfrei, flexibel, konzentriert.
Nach Humphries’ 170 aber wendete sich das Blatt: Jetzt traf der die entscheidenden Felder und zog auch im Punkteschnitt davon: In einem gutklassigen, aber nicht überragenden Finale war er es schließlich, der den nötigen Punch und die Konzentration auf die Doppel hatte. Dem Wunderkind wurden Grenzen aufgezeigt; die erfahrenere Jugend obsiegte.
Natürlich war es auch schade, dass der Aufstieg des kleinen Littler am Ende ein aufhaltsamer war. Schließlich war er es, der dem Fernsehereignis rund um die Feiertage den letztnötigen Glamour verliehen hatte. Das lag nicht allein an seinem sportlichen Auftreten, so erstaunlich das nun wirklich war – automatisiert, abgebrüht, unerschütterlich. Nur einmal im Finale musste er den Spielstand nach einem Fehlwurf nachfragen – den er dann auch gleich korrigierte.
Interessanter aber als das Auftreten des 1,70 m großen, bemerkenswert erwachsen wirkenden Teenagers waren die Randgeschichten um ihn. So fand Littler schon im Alter von acht, neun Jahren in Begleitung des Vaters regelmäßig den Weg in die Kneipe und warf dort Pfeile, was wir an dieser Stelle mal unkommentiert lassen wollen. Sportlich hat sich der Weg auf jeden Fall gelohnt. Auch auf Humphries ist Littler zum ersten Mal bei einem Pub-Turnier getroffen, im zarten Alter von zwölf Jahren.
Bier und Burger
Körperlichkeiten waren auch ansonsten ein begleitendes Thema, wofür nicht nur van Gerwens Burgergate sorgte. So schrieb der österreichische Kurier den Satz: „Darts-Profis gönnen sich ganz gern Fastfood“. Luke Humphries gilt insofern als die goldene Ausnahme im Feld; er ist nach einer bemerkenswerten Abmagerungskur wohl der schlankeste PDC-Weltmeister seit dem jungen Phil Taylor.
Und der erste nach Michael Smith, der nach der Junioren-WM auch die der Profis gewinnt. Überhaupt scheint die Jugend endgültig übernehmen zu wollen; alte Haudegen wie Wright, van Barneveld oder Gary Anderson kommen über „Ferner liefen“ nicht mehr hinaus. Vielleicht doch ein Zeichen für eine weitere Professionalisierung dieses Sports. Auch wenn Bier, Burger, überdurchschnittliche Männlichkeit auch im Publikum dominierten. Die beiden Frauen im Turnier waren bereits in der ersten Runde ausgeschieden.
Das Fest der Sinne feierte am 3. Januar auch mit dem emotionalen Abschied des Kult-Callers Russ Bray seinen Höhepunkt. Von jetzt an ist zumindest für uns Normalbürger wieder Abspecken angesagt. Die Karawane indes zieht weiter – das turniergewaltige Darts findet das ganze Jahr über statt. Nicht nur im Winter, wenn es schneit.